Getrennt, aber verheiratet? Japan probiert ein neues Lebensmodell

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„Willst du mich heiraten?“. Ja? Nein, eher nicht. Die Idee, eine Partnerschaft am Standesamt abzusichern, wird seit sechs Jahrzehnten immer unpopulärer. Waren es 1964 noch acht pro 1000 Personen, fanden 2020 nur mehr 3,2 Eheschließungen statt, wie das EU-Statistikamt Eurostat vergangenen Mai durchrechnete. Gleichzeitig verdoppelte sich demnach die Scheidungsrate in diesem Zeitraum von 0,8 auf 1,6. 

In Japan entwickeln sich die Dinge ähnlich, die Zahl der Eheschließungen ist rückläufig, aber nicht nur das, laut einem Bericht der „BBC“ würden sich immer mehr Ehepaare für (über mehrere Kilometer) getrennte Betten entscheiden. Es lasse sich ein Anstieg sogenannter „Trennungs-Ehen“ oder „Wochenend-Ehen“ beobachten, die über verschiedene Generationen hinweg immer beliebter werden, heißt es da. 

Uneingeschränkt und frei

Zu dem Lebensmodell gehöre, zumindest größtenteils, ein getrenntes Leben mit zwei unterschiedlichen Haushalten. Ein betroffenes Paar, das in dem Bericht der „BBC“ sein Leben skizziert, beschreibt die Lösung als ideal. Sie hätten nie zusammengelebt und wollten das auch in Zukunft nicht tun. Jeder könne so seinen Alltag, seinen Lebensstil uneingeschränkt und frei ausleben. Die Kinder allerdings würden bei der Mutter leben, der Vater käme zwei, dreimal die Woche am Abend zu Besuch. Ein gemeinsames Leben sei nicht essenziell, sagt das Paar, Liebe und Respekt füreinander wären wichtiger – und dazu müsse man nicht zusammenwohnen.

In Japan beherrscht nach wie vor eine sehr traditionelle Rollenverteilung das Familienleben. Frauen sind dabei fast ausnahmslos für alle Bereiche der Haus- und Care-Arbeit zuständig, gleich, ob sie berufstätig sind oder nicht. Im „Global Gender Gap Report“ rangiert Japan stets in den untersten Rängen. Einer Person im Haushalt weniger hinterherzuräumen, scheint für einige eine willkommene Alternative zu sein. Findet sich das Modell dennoch in Österreich wieder?   

Trennung als Belastungstest

Bei den Wiener Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel nachgefragt, ob sich hierzulande eine ähnliche Entwicklung beobachten lässt, ist die Antwort klar: Nein. „In dieser Konstellation kennen wir das nicht. Wir kennen es dann, wenn Paare in einer Krise sind und eine oder einer sagt, dass es er auszieht.“ Das sei dann meistens aber auch der erste Schritt aus der Beziehung, sagen die Experten. „Und umso weiter man voneinander weg ist, desto größer wird die Projektion. Entweder hat man zu hohe Erwartungen, wenn man sich wiedersieht oder umgekehrt, das Interesse sinkt noch weiter.“ Wenn zwei Wohnorte für beide wirklich stimmig sind, schade es der Beziehung nicht, meistens sei das aber nicht der Fall und einer leide still unter der Situation. 

Die beiden Therapeuten sehen ein getrenntes Leben in der Regel als Belastung. „Das schlimmste für eine Beziehung sind Auswege, das können zwei Wohnungen sein, aber natürlich auch zu viel Arbeit oder zu viel Kinderfürsorge“. Bei älteren Paaren, die sich erst finden, wenn beispielsweise die Kinder schon erwachsen sind, seien zwei Haushalte allerdings nicht so ungewöhnlich. „Nach zehn Jahren Singleleben wollen sich viele nicht mehr umstellen.“

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