Selenskyj appelliert nach Raketenangriffen an NATO

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Nur wenige Stunden nach neuen Hilfszusagen der EU für die Ukraine hat Russland das Land wieder massiv mit Drohnen und Raketen angegriffen. “Die Okkupanten haben Schläge gegen die kritische Infrastruktur geführt”, berichtete der Militärgouverneur von Charkiw, Oleh Synehubow, am Freitag. 150.000 Haushalte seien ohne Strom. Auch aus anderen Regionen wurden Einschläge gemeldet. Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Raketenangriffe auch als “Herausforderung für die NATO”.

Bei dem massiven Raketenangriff auf die Ukraine setzten russische Truppen nach Kiewer Angaben 71 Marschflugkörper ein. 61 davon seien abgefangen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem abendlichen Lagebericht mit. Die Marschflugkörper seien von russischen Schiffen und von Flugzeugen aus gestartet worden. Außerdem habe Russland nach vorläufiger Zählung 29 Raketen des eigentlich zur Luftabwehr bestimmten Systems S-300 auf Bodenziele in der Ukraine abgefeuert. Unabhängig überprüfbar waren die Angaben nicht.

Ziel der Angriffe waren nach ukrainischen Angaben wieder Objekte der Infrastruktur. In sechs Regionen gebe es Probleme mit der Stromversorgung. Nachmittags wurde im gesamten Land zum dritten Mal am Freitag Luftalarm ausgelöst. Im Nachbarland Belarus seien russische Kampfflugzeuge vom Typ MiG-31 aufgestiegen, die mit der Hyperschallwaffe Kischal (Dolch) bewaffnet sein können. Es wurden aber keine Angriffe gemeldet.

Selenskyj nannte die Raketenangriffe Terror, “den man stoppen kann und muss”. Deshalb bat er die NATO-Staaten um weitere Waffenhilfe. Nach Angaben des Präsidialamtes beriet Selenskyj am Freitag in Kiew mit der Führung von Militär und Sicherheitsapparat über die Lage in dem fast ein Jahr dauernden Krieg. Selenskyj verwies darauf, dass bei den Angriffen russische Raketen auch durch den Luftraum Rumäniens geflogen seien. Das Verteidigungsministerium in Bukarest bestritt dies jedoch. Rumänien gehört sowohl der EU als auch der NATO an.

Seit dem Herbst zerstört Russland in der Ukraine systematisch zivile Infrastruktur. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten hatten bei ihrem Gipfel mit Selenskyj ein klares Bekenntnis zu weiterer Hilfe abgegeben. “Die Europäische Union wird der Ukraine solange wie nötig mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite stehen”, hieß es in einer Erklärung. Kiew fordert vom Westen auch Kampfjets und andere moderne Waffen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss das nicht grundsätzlich aus. Der deutsche Kanzler Scholz hatte in der Nacht auf Freitag jedoch gesagt, das sei “kein Gesprächsthema” gewesen. Andere Delegationen bekräftigten aber auf Anfrage, dass der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger in großer Runde die mögliche Lieferung von Kampfjets in die Ukraine angesprochen habe.

Allein in der umkämpften Region Saporischschja im Süden der Ukraine schlugen ukrainischen Angaben zufolge innerhalb einer Stunde 17 Geschosse ein. “Das ist die größte Anzahl seit Beginn der Invasion”, teilte der Sekretär des Stadtrats, Anatolij Kurtjew, mit. Explosionen waren in der Nacht auch in der Millionenstadt Dnipro und im Gebiet Winnyzja zu hören. In der Industriestadt Krywyj Rih sei eine Rakete in eine Anlage der Energieversorgung eingeschlagen. “Dort gibt es ernsthafte Schäden”, sagte der Leiter der Gebietsverwaltung von Dnipropetrowsk, Serhyj Lysak.

Zwei russische Raketen sollen nach Angaben des ukrainischen Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj vom Schwarzen Meer kommend sowohl über Moldau als auch über Rumänien geflogen sein. Moldau hat den Überflug bestätigt, Rumänien dementiert. Das Außenministerium in Chisinau bestellte deshalb den russischen Botschafter ein.

Scholz zeigte sich nach dem Gipfel optimistisch, dass die Ziele für die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine erreicht werden. “Mein Eindruck ist, das läuft”, sagte der SPD-Politiker. “Aber es wird natürlich nicht einfach gehen.” Nach eigenen Angaben nutzte Scholz auch beim EU-Gipfel noch einmal die Gelegenheit, “viele darum zu bitten, dass sie aktiv unterstützen”. Man bemühe sich sehr intensiv, das Thema voranzubringen. Dazu gehörten auch Training, Ersatzteil- und Munitionsversorgung. Portugal sagte unterdessen die Lieferung von drei Leopard 2A6 bis März zu.

Als Reaktion auf westliche Militärhilfen für die Ukraine kündigte der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, den Bau und die Modernisierung Tausender Panzer an. “Wie Sie wissen, hat unser Gegner gestern im Ausland um Flugzeuge, Raketen und Panzer gebettelt”, sagte Medwedew in der sibirischen Stadt Omsk. “Es ist klar, dass es für uns in diesem Fall selbstverständlich ist, die Produktion (…) moderner Panzer zu steigern.”

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sieht seine Heimat in einem Krieg wie gegen den französischen Feldherrn Napoleon im 19. Jahrhundert und gegen Nazi-Diktator Adolf Hitler im 20. Jahrhundert. “Immer lauter werden Rufe nach einer Zerstückelung unserer Heimat”, sagte er bei einem Festakt. Allerdings hat niemand im Westen zur Zerstörung Russlands aufgerufen. Auch gibt es keine Pläne, wie Napoleon in Russland oder Hitler in die Sowjetunion einzufallen.

Der russische Präsident Wladimir Putin wird seine Rede zur Lage der Nation am 21. Februar, kurz vor dem Jahrestag seines Krieges gegen die Ukraine, halten. Die Föderale Versammlung – die Staatsduma und der Föderationsrat – trete dazu im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Kreml-Nähe zusammen, teilte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Freitag mit.

Bereits seit Tagen wurde in Moskau über das Datum der seit langem erwarteten Rede Putins spekuliert. Am 24. Februar wird es ein Jahr her sein, dass der Präsident die Invasion in die Ukraine befohlen hat.

Wagner-Söldner und reguläre russische Truppen sind unterdessen nach Einschätzung britischer Militärexperten in den vergangenen Tagen auf die ostukrainischen Städte Bachmut und Wuhledar vorgerückt – erlitten dabei aber teils hohe Verluste. “Russische Kräfte dominieren zunehmend die nördlichen Zufahrtswege nach Bachmut. Im Süden sind russische Einheiten auf den westlichen Rand des Ortes Wuhledar vorgerückt (…)”, hieß es aus dem britischen Verteidigungsministerium.

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