Kürzung von Sozialleistungen: Scharfe Kritik an Kocher-Vorstoß

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Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will Vollzeit-Jobs stärken. “Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsicheren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird wenig unterschieden bei Sozial- und Familienleistungen, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen”, so der Minister zum “Kurier”.

Und Kocher warnt davor, die langfristigen Folgen von Teilzeitjobs zu negieren. “Wer mit 68 Jahren in Pension geht, der erhält deutlich mehr Pension im Monat als bei Pensionsantritt mit 62 Jahren. Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten”, gibt der Arbeitsminister zu bedenken.

Soll es für Menschen, die freiwillig weniger arbeiten, geringere Sozialleistungen geben?

Ja, wer von sich aus auf Teilzeit umstellt, um mehr Freizeit zu haben, sollte nicht die gleichen Leistungen erhalten können, wie Menschen, die Vollzeit arbeiten.

Nein, auf keinen Fall. Die Schere, die sich durch Teilzeitarbeit auftut, ist jetzt schon viel zu groß, das würde sich dadurch noch verschlimmern.

Das lässt sich nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten. Nicht immer ist vermeintlich “freiweillige” Teilzeitarbeit tatsächlich “freiwillig”. Man sollte dieses Thema aber jedenfalls intensiver debattieren.

Auf die demografischen Veränderungen reagieren

Die Unternehmen würden bereits auf die demografischen Veränderungen reagieren und Mitarbeiter bitten, länger im Berufsleben zu bleiben. “Es wird aber auch bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden müssen, weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind”, so der Appell des Ministers.

Kocher präzisierte Aussagen

Nachdem Kochers Aussagen für Wirbel gesorgt hatten, ließ er ausrichten, dass es “bei der Diskussion nicht um Kürzungen von Sozialleistungen” gehe. Man müsse “bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen (die es ja laufend gibt) den Aspekt der Teilzeit stärker  berücksichtigen”, hieß es in einem Statement. “Selbstverständlich geht es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen.”

Kritik von FPÖ, SPÖ und Gewerkschaft

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch reagierte heute auf die Kocher-Aussage “in aller Schärfe”: “Gegen den Arbeitskräftemangel fällt der Regierung nichts ein, außer die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer per Gesetz zu verschlechtern. Dabei müsste es doch genau umgekehrt sein”, polterte er. Insgesamt sei Kochers Vorstoß ein unsozialer Angriff auf die Familien und “das Unsinnigste, was er gehört habe, seit die FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein behauptet hatte, man könne von 150 Euro im Monat gut leben”.

Für die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch zeigt die Aussage von Kocher, “wie dieser familienfeindliche und neoliberale ÖVP-Minister wirklich tickt”. “Denn lapidar zu sagen, dass junge Mütter informiert werden sollten, dass sie bei längerer Erziehungszeit einen massiven Verlust bei ihrer zukünftigen Pension in Kauf nehmen müssen, zeugt schon von sozialer Armut”, so Belakowitsch.

“Fauenfeindliche Vorschläge”

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, wurde ebenfalls deutlich: “Minister Kocher soll seine frauenfeindlichen Vorschläge zur Bestrafung von Teilzeitarbeit sofort zurückziehen.” Sie rechnet vor: “80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Viele Teilzeit arbeitende Frauen haben keine andere Wahl, weil die öffentliche Hand nicht ausreichend ganztägige Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stellt.”

Wenig Verständnis zeigte auch AK-Präsidentin Renate Anderl: Acht von zehn Teilzeitbeschäftigten seien Frauen, es stelle sich deshalb die Frage, von welchen Sozialleistungen Kocher hier genau spreche. “Will der Minister die Höhe der Familienbeihilfe vom Arbeitszeitausmaß der Eltern abhängig machen oder was ist hier geplant? Diese Leistungen gebühren ja unabhängig vom Einkommen”, betonte sie.

Geringe Beschäftigungsquoten von Geflüchteten

Zu der geringen Beschäftigungsquote von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hielt Kocher im “Kurier-Interview” fest: “Einige Vertriebene wollen bald in die Ukraine zurückkehren und sehen keine Notwendigkeit, in Österreich zu arbeiten. Andere arbeiten auch im Homeoffice – für ukrainische Firmen. Wie es mittel- und langfristig weitergeht, müssen wir uns natürlich anschauen.”

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