G20-Gipfel hat begonnen, Afrikanische Union wird laut Indiens Premier Mitglied

0

Neu-Delhi – Die G20-Gruppe wichtiger Industrie- und Schwellenländer nimmt die Afrikanische Union (AU) als Mitglied auf. Das sagte Indiens Premierminister Narendara Modi am Samstag bei der Eröffnung des G20-Gipfels in Neu-Delhi. Indien hat derzeit den Vorsitz der Staatengruppe. “Im Einverständnis mit euch allen möchte ich den Vorsitzenden der Afrikanischen Union einladen, seinen Sitz als permanentes Mitglied der G20 einzunehmen”, sagte Modi. Der Präsident der Komoren und derzeitige AU-Vorsitzende, Azali Assoumani, ging auf Modi zu und umarmte ihn.

Der indische Regierungschef versucht, sein Land als Anführer des globalen Südens zu profilieren. Die Aufnahme der Afrikanischen Union ist für ihn deshalb ein wichtiger Erfolg des Gipfels. Bisher war die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten die einzige Regionalorganisation, die Mitglied der G20 ist. Der AU gehören alle international anerkannten afrikanischen Länder sowie das völkerrechtlich umstrittene Land Westsahara an. Insgesamt sind es 55 Staaten.

Afrikanische Union vertritt rund 1,3 Milliarden Menschen

Die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen und hat die jüngste und am schnellsten wachsende Bevölkerung der Welt. Schätzungen zufolge könnte Afrika bis 2050 rund 2,5 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner zählen. In der EU leben lediglich rund 450 Millionen Menschen.

EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßten die Entscheidung. “Es ist eine Freude, die Afrikanische Union als neues G20-Mitglied willkommen zu heißen”, sagte von der Leyen.

Zur G20-Gruppe gehören bereits – neben der EU – 19 der stärksten Volkswirtschaften der Welt. Sie ist ein zentrales Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, beschäftigt sich inzwischen aber auch mit vielen anderen globalen Themen – von der Terrorbekämpfung über den Klimaschutz bis hin zu Kriegen. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist sie eins der wenigen verbliebenen Foren, wo der Westen und Russland direkt zusammentreffen.

Gemeinsame Abschlusserklärung offen

In Neu- Delhi anwesend sind US-Präsident Joe Biden und Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD). In Vertretung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin kam Außenminister Sergej Lawrow. Chinas Staatschef Xi Jinping lässt sich von Ministerpräsident Li Qiang vertreten. Wegen Streits über eine klare Verurteilung des russischen Angriffskriegs war offen, ob sich die Staaten wie üblich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen können.

Biden und Modi wollen angesichts einer chinesisch-russischen Allianz ein Scheitern des Gipfels abwenden. Unterhändler bemühten sich vor Gipfelbeginn, einen Kompromiss für die Abschlusserklärung zu finden: Russlands Angriffskrieg soll verurteilt werden, Peking und Moskau sollen das Papier aber mittragen. Ohne eine gemeinsame Erklärung dürfte der Gipfel als gescheitert gelten. “Wir bringen Kompromissbereitschaft bei vielen strittigen Fragen mit, damit wir uns auf einen Text einigen können, mit dem alle leben können”, hatte Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, an Bord der “Air Force One” auf dem Weg nach Neu-Delhi gesagt.

Der indische Premierminister empfing Biden schon am Vorabend. Die US-Regierung versucht, das bevölkerungsreichste Land der Erde stärker an sich zu binden. Ziel ist es, dem Machtstreben Chinas etwas entgegenzusetzen. Modi und Biden vereinbarten eine engere Zusammenarbeit und Partnerschaft.

Von der Leyen stellt Bedingungen

Für den Gipfelgastgeber sind vor allem die Diskussionen um den Krieg gegen die Ukraine höchst unangenehm. Indien hatte eigentlich versucht, das Thema außen vor zu lassen, um Streit zu vermeiden. Die westlichen G20-Mitglieder wollen das allerdings nicht akzeptieren und setzen sich dafür ein, dass der Krieg beim Gipfel verurteilt werden wird. Das wiederum will Moskau nicht akzeptieren und bekommt Rückendeckung von Peking. Es sei schwierig vorherzusagen, ob es möglich sein werde, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu verständigen, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Freitag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte indes Bedingungen für die Zustimmung zu einer Abschlusserklärung. “Wichtig ist, dass wir die Grundsätze, die Grundprinzipien, aufrechterhalten”, sagte sie in Neu-Delhi in einem Interview von ARD und ZDF. Dazu gehöre zum Beispiel, dass es in der Ukraine einen gerechten und dauerhaften Frieden geben müsse, die Unverletzlichkeit von Grenzen und dass annektierte Gebiete nicht international anerkannt würden. “Diese Grundprinzipien, die verteidigen wir auch und die müssen in dem Kommuniqué drin sein”, sagte sie.

Sollten sich die Delegationen nicht auf einen Kompromiss einigen, könnte der Gipfel in Delhi der erste der G20-Gruppe ohne offizielle Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs werden. Vor allem für Gastgeber Indien wäre das ein Debakel.

Die Rolle Chinas

Eine Frage ist, warum China sich beim Thema Ukraine-Krieg auf die Seite Moskaus stellt. Als eine mögliche Erklärung gilt, dass die Regierung in Peking mit dem Gedanken spielt, sich irgendwann einmal gewaltsam die Inselrepublik Taiwan einzuverleiben. Sie könnte dann auf internationaler Ebene Rückendeckung gebrauchen wie jetzt Moskau.

Eine andere mögliche Erklärung ist Chinas Konkurrenzkampf mit Gipfelgastgeber Indien. Nach Angaben von Diplomaten will Peking um jeden Preis verhindern, dass Indien sich als die neue Führungsmacht des globalen Südens profiliert. In diesem Zusammenhang wird auch die Vertretung von Chinas Staatschef durch seinen Ministerpräsidenten gesehen.

Klimapolitik im Hintergrund

Ein Leidtragender der zunehmenden geopolitischen Spannungen ist die internationale Klimapolitik. Delegationsmitglieder räumen ein, dass die langwierigen und zähen Diskussionen über den Ukraine-Krieg ganz klar zulasten anderer Themen gehen. So muss in den Verhandlungen darum gekämpft werden, bisherige Ziele aufrechtzuerhalten. Dabei geht es beispielsweise darum, ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen und schrittweise den Ausstieg aus einer klimaschädlichen Stromerzeugung mit Kohle zu realisieren.

Nach Angaben von Diplomatinnen und Diplomaten stehen unter anderem China und Saudi-Arabien auf der Bremse. Als kaum umsetzbar gelten auch Bemühungen der EU, dass sich die G20 geschlossen hinter das Ziel stellen, dass die globalen Treibhausgasemissionen spätestens ab 2026 sinken.

Thema Getreideabkommen

Wichtiges Thema ist auch die Welternährung. Nach Russlands Ausstieg aus dem Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer richten sich die Augen nun auf Moskaus Außenminister Lawrow, der Kremlchef Putin vertritt. Der Russe will klarmachen, dass die westlichen Strafmaßnahmen gelockert werden müssten, damit das Abkommen wieder in Kraft gesetzt wird.

Hier sieht Moskau vor allem Uno-Generalsekretär António Guterres als Vermittler in der Pflicht, bei der EU darauf zu dringen, dass Russlands Forderungen erfüllt werden. Neben Guterres ist auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Neu-Delhi angekommen, so dass es Bewegung in der Frage geben könnte. Erdogan vermittelt zwischen Kiew und Moskau.

Angesichts der Klimakrise, der weltweiten Ernährungssicherheit und Chinas Bemühungen um mehr weltweiten Einfluss dringen die USA, aber auch die Europäer auf Reformen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Biden will in Neu Delhi Zuschüsse für die Entwicklungsbank eintreiben, die armen Ländern Geld zu günstigen Konditionen leiht, um Armut zu bekämpfen. Die USA werben auch für einen Schuldenerlass zugunsten ärmerer Länder. Das zielt unter anderem auf China. (APA, red, 2023)

Would you like to receive notifications on latest updates? No Yes